Ich staune, wie wenig viele Frauen über ihren Zyklus und die Abläufe in ihrem Körper wissen. In letzter Zeit kommen Patientinnen zu mir, die berichten, sie würden mit ihrer Zyklus-App verhüten – das sei doch ganz einfach, zuverlässig und sie müssten sich gar nicht mit diesen „bösen Hormonen“ belasten. Dann hole ich tief Luft und bemühe mich redlich, mal die grundsätzlichen biologischen Dinge zu erläutern. Damit bin ich aber auch schon mal zu spät gekommen – die junge Frau war bereits trotz ihrer App (bzw. dank ihrer App?) schwanger geworden.
Diese Apps sind ganz überwiegend sogenannte „Period-Tracker“ (Menstruationskalender), die alleine per Kalender-Methode die fruchtbaren Tage berechnen.
Der weibliche Zyklus unterliegt im Laufe der Zeit oft deutlichen Schwankungen, so dass die alleinige Aufzeichnung des Verlaufes (also der Vergangenheit) keine zuverlässige Aussage über die zukünftigen fruchtbaren Tage ermöglicht. Ein Eisprung kann recht kurz nach der Regelblutung oder auch erst deutlich später als 14 Tage nach der Blutung auftreten.
Bei Kinderwunsch kann eine solche App hilfreich sein, als Verhütungsmethode taugt die alleinige Benutzung einer App nicht. Bei der ersten Installation der App wird von den meisten Programmen darauf hingewiesen, danach erfolgt in der Regel kein weiterer Hinweis. Möchte eine Frau durch Beobachtung ihres Zyklus verhüten, dann sollte sie sich intensiv mit den Methoden der natürlichen Familienplanung beschäftigen – denn der menschliche Körper ist analog, nicht digital.
Gute Informationen zum weiblichen Zyklus bietet: www.zyklus-wissen.de
Wenn ich weiter über diese Apps nachdenke, frage ich mich schon, wo dann letztlich die Daten über den Zyklus landen. Soweit ich weiß, müssen deutsche Anbieter den Datenschutz einhalten und gewährleisten, dass die Daten im Smartphone bleiben. Ansonsten könnte man die intimen Details in Zeiten von Big Data natürlich auch ganz hervorragend für die Vermarktung von allerlei Produkten nutzen. (Schokolade würde ich prämenstruell bewerben…)
Dazu von der Süddeutschen Zeitung: www.sueddeutsche.de/gesundheit/a…
Evaluation und wissenschaftliche Begleitung gibt es in der App-Entwicklung wenig, ein Artikel darüber: journals.lww.com/greenjournal/Ab…
Nur mal nebenbei ein Link zu einem Artikel über das Schwangersein in Zeiten von Big Data: www.zeit.de/digital/datenschutz/…
Inzwischen (August 2016) hat auch die Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie (DGE) das Thema aufgenommen: www.endokrinologie.net/pressemit…
Ergänzung: Anfang 2017 ist die App „Natural Cycles“ (www.naturalcycles.com/de) vom TÜV Süd als Verhütungsmittel zertifiziert worden. Diese Zertifizierung bezieht sich darauf, dass die App die Anforderungen der europäischen Medizinprodukterichtlinie erfüllt, eine Aussage über die Verhütungssicherheit gibt das Zertifikat nicht.
Hier ein Auszug aus der Gebrauchsanweisung: „Wie bei jedem Verhütungsmittel gibt es bei der Verwendung der App ein paar Dinge zu beachten. Sorge für korrekte Messungen, indem du gleich nach dem Aufwachen und noch vor dem Aufstehen mit einem zertifizierten Basalthermometer mit zwei Dezimalstellen deine Temperatur misst. Setze das Thermometer hierzu unter der Zunge an. Verzichte auf Messungen oder setze sie aus, wenn du dich krank fühlst, verkatert bist oder 2 Stunden länger oder kürzer als üblich geschlafen hast. Schütze dich an roten Tagen, um eine Schwangerschaft wirksam zu verhindern. Das Risiko einer Schwangerschaft ist an diesen Tagen wesentlich höher, da du mit großer Wahrscheinlichkeit fruchtbar bist. Du entscheidest natürlich selbst, wie du dich an roten Tagen schützt. Die relative Wirksamkeit hängt jedoch vom Pearl-Index der gewählten Methode ab. Hormonelle Verhütungsmittel wirken sich auf deine Körpertemperatur aus, dazu gehört auch die Pille danach. Falls du diese einmal einnimmst, verzichte unbedingt auf weitere Messungen, bis du in einem neuen Zyklus bist.“ Quelle: www.naturalcycles.com/de/science
Wie es sich hier mit der Usability verhält, muss Frau selbst entscheiden.
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